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Ein Realist im Träumeland
20.12.2016
Bei der Abholung der Karten teilt uns eine Dame mit, der Veranstalter hat die Produktion im Stich gelassen, es gibt keine Namensliste der reservierten Karten, keine Karten für Reservierungen. Statt Karten werden Bänder angebunden. Mit seinem fühlt sich Jungredakteur Jordan wie ein VIP. Freie Platzwahl heißt es bei den Gästen, die solche Bänder erhalten haben. Wir sollen warten, bis die Besucher mit Karten Platz nehmen. Die Veranstaltung ist nämlich bei weitem nicht ausverkauft, es werde noch gute Plätze geben. Wir folgen dem Beispiel des Jungredakteurs Jordan - fühlen uns wie VIPs - und suchen uns selbst die Plätze aus, Mitte Mitte. Parkett links und Parkett rechts sowie der gesamte hintere Bereich bleiben leer. Ein Auftritt im Grazer Opernhaus wäre wohl auch angebracht, Platz gäbe es genug, auch wenn viele spontan entscheidende Touristen ohne Zweifel vorbeigeschaut hätten. Erstaunlich ist, dass statt, wie angenommen, die überwiegende Anzahl Kinder ist, gibt es mehr Erwachsene und sogar Erwachsenengruppen, die ohne Kinder gekommen sind. Spricht wohl dafür, dass, ursprünglich als Kindermusical gedacht, dieses durchaus auch Erwachsene anspricht. 
 
Die Inszenierung von Christian Berg und Michael Schanze ist voller altmodischen Charmes, der am Anfang jeden zu langweilen scheint wird auf einmal lebhaft, als der Geist der vergangenen Weihnachten eintritt. Eine Mischung aus Zuckerfee und Schlumpfine mit ihrem Lied “Durchgeknallt”, das bei den Kindern super ankommt. 
 
Der Geist der gegenwärtigen Weihnachten, der aufgeblasene Weihnachtsmann mit Menschenstimme, kommt ein wenig eingefroren daher. Emotionen, Mimik, nichts sieht man ihm an.
 
Eine Erinnerung an den alljährlichen venezianische Karneval mit seinen ausgefallenen Masken mit langem Krähenschnabel ist der dritte Geist, der Geist des zukünftigen Weihnachten. 
 
Der einzige Realist im Träumeland
 
Der bittere Ernst der Geschichte über Ebenezer Scrooge (Ronald Kuste) ist, dass er im Endeffekt der einzige ist, der den Ernst des Lebens versteht. Der Rest versucht, für einen Tag alles beiseite stehen zu lassen und einen Tag von Liebe und Vergebung zu leben. Einen einzigen Tag, der nur einen vorübergehenden Schleier über das allgegenwärtige Elend des Lebens wirft. Denn die Probleme bleiben nach wie vor die gleichen. Die Miete plus 10% Verzugszinsen werden auf morgen aufgeschoben, von der Zukunft des Jungen Tim, von der er selbst ahnt, wird an dem einen Tag abgesehen. Und im Endeffekt bleibt Scrooge, einer, der viel arbeitet, weil er sich in der Arbeit vor seiner Einsamkeit verstecken will und kann, derjenige, der die Welt retten kann, der Held des Tages, auch wenn ihn als solchen niemand sehen will/kann. 
 

 
Einerseits lehrt die Geschichte Kinder, dass wir, wenn es uns möglich ist, dem Nächsten Hilfestellung leisten, sei es nur, einer älteren Dame in der Straßenbahn Platz freizumachen, zu allererst, dass wir mehr miteinander kommunizieren und mehr voneinander erfahren, Augen offen halten und zuhören. Andererseits wird uns das Elend des Lebens vor Augen geführt. Denn solche Scrooges, die kein Verständnis haben, dass eine Frau ihr erstes Kind bekommen hat und deswegen die Miete nicht am ersten des Monats eingezahlt werden konnte, gibt es genug. Auch wenn diese anders heißen. Das Leben ist nicht immer ein Honiglecken, es gibt aber Auswege, es gibt Lösungen, die man nur finden muss. 

 
Kostüme: Emma Hoffmann
 
Bühnenbild: Johannes Fischer

Fotos: Barbara Nidetzky

die-frau.de